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Acht Regeln für gute Warteschlangen

verfasst von Mathias

Jeder, der schon einmal einen Freizeitpark besucht hat, kennt dieses Gefühl: Schon seit einer gefühlten Ewigkeit steht man an, um eine im besten Fall tolle Attraktion zu erleben. Die Zeit siecht so vor sich hin; schreitet kaum voran – und zu allem Überfluss sind die Gesprächsthemen der Ausflugsgruppe auch schon seit 20 Minuten aufgebraucht. „Wann sind wir endlich an der Reihe?“ – diese Frage schießt einem durch den Kopf und der Ärger darüber, dass man seine teure Freizeitparkzeit ausgerechnet mit Warten und Anstehen verbringen muss, wächst an. Da stellt sich doch die Frage: Wie könnte man das Warten in Freizeitparks erträglicher gestalten? 

Eine mögliche Antwort kommt aus der Psychologie, wo das Warten allgemein auch immer wieder Thema ist. Und so haben sich die Psychologen Ledbetter, Mohamed-Ameen, Oglesby und Boyce in einem 2013 veröffentlichten Artikel tatsächlich auch mit der Frage der Warteschlangengestaltung in Freizeitparks beschäftigt*. Die theoretische Grundlage ihres Beitrags bilden der Unterschied zwischen erlebter und tatsächlicher Zeit sowie das Doppelaufgaben-Paradigma. Letzteres sagt im Bezug auf das Zeitempfinden aus: Wenn die Aufmerksamkeit vom Fortschreiten der Zeit auf eine andere Aufgabe abgelenkt wird, wird die Zeit kürzer empfunden, als sie es in Wirklichkeit ist. Daraus und aus acht in den 1980er-Jahren aufgestellte Richtlinien für Wartebereiche leiten die Forscher eigene Regel für Wartebereiche in Freizeitparks ab!

Regel 1: Warteschlangen sollten die Zuwendung der Gäste fördern
Das ist die wohl direkteste Umsetzung des Doppelaufgaben-Paradigmas: Geben wir dem Besucher eine Zweitaufgabe, dann wird er die Erstaufgabe, das Warten, erträglicher finden. Die Autoren stellen sich dabei vor, dass den Besuchern hierzu „Aktivitäten, Spiele und interaktive Elementen“ geboten werden, die die Aufmerksamkeit langfristig, auch bei mehrmaligen Besuchen auf sich ziehen können. Gelingt es eine Warteschlange nicht, diese Funktion zu erfüllen, kehrt Langeweile ein und das Vergehen der Zeit wird wieder spürbar.

Ein gutes Beispiel für die Umsetzung dieser Regel findet sich in der detail- und abwechslungsreich gestalteten Queue von Harry Potter and  the Forbidden Journey.

 

Regel 2: Warteschlangen sollten das Interesse an der Attraktion aufrecht erhalten
Wie Ledbetter und seine Kollegen schreiben, können Warteschlangen das oben beschriebene Maß an Zuwendung jedoch nur generieren, wenn ein Interesse an dem dargestellten Thema überhaupt gegeben ist – und das ist am wahrscheinlichsten gegeben, wenn die Warteschlange ähnlich gestaltet ist, wie die Attraktion, zu der sie führt. Mit anderen Worten: Wenn man im Europa-Park die Achterbahn Silver Star besuchen möchte, kann man mit einer Warteschlange im Stile der Themenfahrt Piraten in Batavia wenig anfangen. Und genauso so wenig natürlich mit einem kargen Stangengewirr. Vielmehr sollen Warteschlangen und die Attraktion eine Einheit bilden, bei der das Warten schon eine Vorstufe zur Fahrt oder Show ist.

Regel 3: Warteschlangen sollten positive Emotionen unterstützen
Emotionen haben einen direkten Einfluss auf das Zeitempfinden: Positive Emotionen lassen die Zeit demnach schneller verfliegen. Negative Emotionen führen zum Gegenteil. So sollte beim Gestalten der Warteschlangen darauf geachtet werden, dass bestimmten „elementaren Erwartungen“ entsprochen. Das betrifft etwa Licht, Sound und Design. So können negative Emotionen wie Frustration vermieden werden.

Regel 4: Warteschlangen sollten komfortabel sein
Auch das ist eines der bekannteren Phänomene beim Warten in Freizeitparks: Es ist ohnehin schon sehr voll und eine lange Phase des Wartens steht an – und dann ist es auch noch brüllend heiß, z.B. weil ein Sonnenschutz fehlt oder eine Klimatisierung. Oder die Luft ist abgestanden. Oder einem Raucher kann kaum ausgewichen werden. Die Stimmung geht dann runter und das hat wiederum Auswirkungen auf das Zeitempfinden: Unkomfortables Warten führt gemäß den Autoren zu Erschöpfung und zu einem verlängerten Zeitempfinden, komfortables Warten zu einem verkürzten Zeitempfinden. Als Gestalter einer Warteschlange sollte man also auch die physikalischen Begebenheiten einplanen und komfortabel halten – über Klimaanlagen, Sonnenschutz, Wassersprenkler und Rauchverbote gibt es da so einige Möglichkeiten.

In unserem Airtimers Queue Line Check zum Heide Park aus dem Jahr 2014 war die Colossos-Warteschlange ein Beispiel für einen unkomfortablen Wartebereich: Abschüssiges Gelände und kein Sonnenschutz.

Warteschlange bei Colossos im Heide Park.

Regel 5: Verschiedene Warteschlangen voreinander verbergen
Als Tunneleffekt kennt man dieses Phänomen auch in der Soziologie: Man stelle sich einen Stau in einem zweispurigen Tunnel vor, man selbst steht auf der linken Seite, nichts geht vor und zurück und man ist frustriert. Dann beginnt sich die rechte Spur zu bewegen. Zwar steigt dadurch zunächst die Stimmung – denn immerhin liegt die Erwartung nahe, dass sich auch die linke Spur bald bewegen könnte – doch tut sie das nicht, werden die Erwartungen enttäuscht und die Stimmung ist sogar noch schlechter, denn hinzu kommt ein Neid auf die Fahrer der rechten Spur. Was in der Soziologie dann letztlich auf soziale Statusveränderungen projiziert wird, könnte in der Ursprungsversion auch Warteschlangeneffekt genannt werden. Denn gibt es zwei separate Warteschlangen – etwa eine Quick-Pass-Warteschlange und eine normale Warteschlange (oder auch einfach nur zwei parallele, eigentlich gleichwertige Reihen) besteht die Gefahr, dass es in einer Reihe schneller voran geht als in der anderen. Das nun entstehende Gefühl der sozialen Ungleichheit soll laut den Autoren vermieden werden, da es zu Ungeduld führt und die Aufmerksamkeit wieder dem Verstreichen der Zeit zuwendet.

Die Lösung: Die Warteschlangen einfach baulich voreinander verbergen.

Regel 6: Warteschlangen sollten zwischenmenschliche Interaktion erleichtern
Alleine Warten macht keinen Spaß: Denn allein Wartende empfinden die Zeit als länger, als es in einer Gruppe Wartende tun. Offenbar lässt die Kommunikation zwischen den Gruppenteilnehmern die Wartezeit gefühlt verkürzen – also, sollte man diese Kommunikation auch ermöglichen. Die Autoren empfehlen, die Warteschlangen breit genug dafür zu gestalten, dass die Anstehenden nebeneinander stehen können, aber auch nicht so breit, dass man sich leicht vordrängeln kann. Eine andere Möglichkeit: Zick-Zack-Anstellreihen, die immer wieder den Kontakt von Gruppenmitgliedern ermöglichen.

Regel 7: Gäste sollten über die Wartedauer informiert sein
In dem meisten größeren europäischen und internationalen Freizeitpark ist es schon länger Usus, die Besucher vor dem Eintritt in die Warteschlange per digitaler oder analoger Anzeige über die voraussichtliche Wartezeit zu informieren. Oft wird dabei sogar eine längere Zeit angegeben, als eigentlich kalkuliert, was aber gut ist, da so die gefühlte Zeit abnimmt. Es sollte, so die Autoren, immer vermieden werden, dass die Besucher länger warten, als angegeben. Dank immer wieder auftretender technischer Defekte, die die Wartzeit verlängern, scheint das aber kaum möglich, denn die ursprüngliche Angabe verlieren in solchen Fällen ihre Gültigkeit. Daher, so der Vorschlag der Autoren, sollte den Besuchern auch während des Wartens immer aktuell die noch ausstehende Wartezeit mitgeteilt werden. Technisch möglich wäre das dank moderner Systeme mittlerweile**.

Digitale Warteanzeigen sind mittlerweile zumindest in den meisten großen europäischen Freizeitparks Standard – hier zu sehen bei Arthur im Europa-Park.

Regel 8: Warteschlangen sollten ein Gefühl stetigen Näherkommens zur Attraktion vermitteln
Niemand hat gerne das Gefühl, auf der Stelle zu treten und nicht vorwärts zu kommen und so sollten auch Warteschlangen in Freizeitparks einen gefühlten Fortschritt beinhalten. Das kann prinzipiell auf verschiedene Weisen erreicht werden. Zum einen – rein physikalisch – durch ein nicht zu niedriges Schritttempo, aber auch durch die Umgebung kann ein solcher gefühlter Fortschritt erreicht werden: Die Empfehlung der Autoren ist, verschieden thematisierte Bereiche aufzubauen und so Abwechslung zu generieren. Ein Fortschritt wird so besser erlebbar – und die Zeit geht schneller vorbei.

Fazit: Alle Regeln der Autoren im gleichen Maße umzusetzen, ist sicherlich aufwendig und schwierig, zumal sich einige von ihnen auch widersprechen. Trotzdem werden einige interessante Möglichkeiten für die Warteschlangengestaltung aufgezeigt, die teilweise schon Anwendung finden, aber natürlich auch oftmals nicht.

Übrigens: Im Jahr 2014 haben wir uns im Rahmen unseres Airtimers Queue Line Check schon einmal mit Warteschlangen in europäischen Freizeitparks auseinander gesetzt. Das waren die damaligen Checks: Heide Park ResortPhantasialand Europa-Park RustHoliday ParkEfteling und  Movie Park Germany.

* der Artikel trägt den Titel “Your Wait Time From This Point Will be . . . : Practices for Designing Amusement Park Queues” und wurde von Jonathan L. Ledbetter, Amira Mohamed-Ameen, James M. Oglesby und Michael W. Boyce verfasst. Die in der Zeitschrift ergonomics in design im April 2013 erschiende Arbeit kann hier kostenlos als PDF heruntergeladen werden.

** In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass es ein solches System noch nicht gebe – ein Irrtum. Vielen Dank an den Hinweisgeber!

Pictures: Copyright Airtimers (1), Miro Gronau (2, Titelbild)

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Mathias

3 Kommentare

  • Gute und wichtige Punkte. Für Regel 7 gibt es aber eine Lösung, die Wartezeit auch in der Warteschlange anzugeben: Q-Scanner http://www.q-scanner.com

    Aktuell messen wir in Parks wie dem Phantasialand die Wartezeit und geben diese mit über 95% Genauigkeit am Eingang der Attraktion an. Die meisten digitalen Anzeigen in Parks weltweit sind allerdings leider Schätzungen und werden häufig sogar manuell geändert und sind damit unaktuell.

    Bisher messen wir auf Wunsch unserer Kunden nur am Eingang und am Ausgang und können daraus die Wartezeit berechnen. Durch Scanner auch in der Warteschlange ist es möglich die Wartezeit für den Rest des Wartebereichs zu errechnen und zu publizieren. Die Technik gibt es also schon 😉

  • Hmm. Also die Wartezeit innerhalb der Warteschlange wird doch oft angegeben, ganz ohne digitale Anzeigen. Je nach noch ausstehender Wegstrecke bis zur Station sind Schilder mit der zu erwartenden Wartezeit angebracht, so bspw. bei Black Mamba. Und so lange keine technischen Störungen vorliegen, kann ich mir vorstellen, dass diese Angaben auch recht akkurat sind.

    Alles in allem finde ich, dass die acht Regeln aus dem Artikel keine wirklich spannenden Erkenntnisse sind. Trotzdem ein schöner Artikel und macht weiter mit eurem „Queue Line Check“!