Vor einigen Jahren sollte in Berlin am Zoo das größte Riesenrad der Welt entstehen. Mit 165 Metern Durchmesser und einer Gesamthöhe von 175 Metern wäre es noch einmal 40 Meter größer gewesen als das berühmte London Eye. Das Projekt wurde wegen Veruntreuung 2009 eingestellt. Von über 200 Millionen Euro Projektgeld waren 90 Prozent verschwunden. Ob die deutsche Hauptstadt Berlin damit gewonnen oder verloren hat, sei dahingestellt. Doch eines ist unabstreitbar: Der Boom der Rekord-Riesenräder in der letzten Dekade nimmt kein Ende und Berlin wäre nur für kurze Zeit ein Spitzenreiter im weltweiten Wettrüsten der Aussichten gewesen.
Dass alles bereits vor vielen hundert Jahren begonnen hat, wurde mehrfach beschrieben und ist unlängst bekannt: Die türkischen Räder waren sicher Vorlage für George Washington Ferris jr., welcher 1893 das Patent für das moderne Riesenrad einreichte, ebenso mittelalterliche Konstruktionen, die bis ins Renaissance-Europa aus Holz per Hand betrieben wurden. Auch heute ist der Begriff Ferris Wheel nicht eine falsche oder halblateinische Form von Eisen, sondern bezieht sich auf den modernen Begründer und damit verbundenen Namensgeber – zumindest im englischen Sprachraum. Doch wollen wir heute keinen Blick in die Vergangenheit werfen, sondern richten unsere Aufmerksamkeit auf die Entwicklungen der letzten und kommenden Jahre.
Bevor zum Millennium 2000 das London Eye Aufmerksamkeit auf sich zog, war es vor allem das Land Japan, welches innerhalb weniger Jahre eine ganze Handvoll von Rekordrädern aufstellte. Alle brachen die Höhenmarke von 100 Metern, doch ist das europäische Pendant um einiges gewachsen. Vor allem durch seine exponierte Lage über der Themse, schafft es das auch als Millennium Eye bekannte Rad auf 135 Meter Gesamthöhe. Weiteres Novum war hier die Positionierung der Kabinen. Verhinderte bisher die Konstruktion des Rades die Sicht auf den höchsten Metern, wurde hier die Personengondel an eine spezielle Aufhängung angebracht, welche es ermöglicht, bei der gesamten Umrundung freie Sicht auf die Umgebung genießen zu können. Dafür dreht sich die Gondel selbstständig und gleichmäßig zur Gesamtbewegung des Rades auf einem Außenlager. Das Prinzip setzte sich schließlich weiter durch und sorgte durchaus mit für den Anstieg an neuen Projekten.
In den kommenden Jahren entstanden so in jener neuen Konstruktionsart vorerst im asiatischen Raum neue Anlagen. Der erste Rekordabnehmer ist dabei Der Stern von Nanchang – wenn auch noch mit klassischer Gondelaufhängung. Die 2006 mit 160 Metern eröffnete Anlage verwies das London Eye auf den zweiten Platz und hielt selbst den Rekord für zwei Jahre. Anders als bei der extrem filigranen Konstruktion aus Europa, setzte China hier ein Zeichen und sorgt für eine Erkennbarkeit aus weiter Entfernung. Dafür wurde eine fast achterbahnartige Stützenkonstruktion verwendet, welche mit über 7000 Lampen beleuchtet wird. Ob Wirtschaftsmacht – die hier zum Ausdruck gebracht werden sollte – so aussieht, lässt sich bestreiten.
2008 blieb der Rekord in Asien. Der Stadtstaat Singapur errichtet den Singapore Flyer mit fünf Metern mehr Höhe und holte sich die neue Bestmarke in die kaugummifreie Metropole. Die Technik der Anlage ist hier sehr ähnlich wie in London, wie auch auf den Bildern zu erkennen ist. Aktuell liegt der Rekord bei der neuen Generation der Riesenräder also bei 165 Meter. Doch wir würden nicht in der „höher,-schneller-weiter“-Zeit leben, wenn sich in den kommenden Monaten und Jahren nicht einiges ändern würde.
Den sprichwörtlichen Vogel schoss man dabei in Las Vegas ab. Hier wurden parallel zwei Anlagen geplant und nur eines sollte gewinnen – natürlich das Größere. Das geplante, viergrößte Riesenrad der Welt, SkyVue mit 152 Metern, schaffte es nicht über die Fundamentarbeiten hinaus und ging in die Geschichte der nicht erfolgreichen Projekte Las Vegas ein – ebenso wie das mehrfach angekündigte Riesenrad Voyager. Dagegen fertiggestellt ist seit letztem Jahr The High Roller. Mit 167 Metern holte man sich zum ersten Mal seit der Eröffnung des historischen Ferris Wheel zur Weltausstellung in Chicago 1893 mit 80,5 Metern, den Rekord zurück nach Amerika – und das zu einem Preis von 140 Millionen US-Dollar. Doch dabei bleibt es nicht. Nach aktuellem Stand gibt es kommendes Jahr einen Schlagabtausch in den USA. In New York City wird das New York Wheel eröffnen: 192 Meter. Die 25 Meter mehr als in Las Vegas lässt sich die Stadt mit Hilfe von allerlei Investoren angeblich knapp 200 Millionen US-Dollar kosten – 180 Millionen Euro.
Dieses Wettrüsten hat – wie scheint – auch der ein oder andere Projektplaner in den Vereinigten Arabischen Emiraten mitbekommen. Denn dort wurde 2009 ein geplantes Rekordriesenrad gestoppt – geplant waren 185 Meter – und noch einmal neu konzipiert. Nach aktuellem Stand entsteht dort nun, ebenfalls für das kommende Jahr, eine 210 Meter hohe Anlage. Dort wo der Sand heiß ist, sind natürlich auch die Projekte oft wie rinnender Sand in einer Uhr. Das das Dubai Wheel dennoch entstehen wird, zeigt eine eindrucksvolle facebook-Seite, welche den Bau regelmäßig dokumentiert. Ob das Projekt damit 2016 schon fertig gestellt wird, bleibt abzuwarten – den Bau eines solchen Monsters einmal verfolgen zu können, ist ein Besuch auf der Seite auf jeden Fall Wert.
Doch auch nicht jedes Projekt wird verwirklicht. Wie am Anfang in Berlin beschrieben, ging es zum Beispiel auch Peking mit dem Great Beijing Wheel so. 2008 sollte dieses 208 Meter hohe Flaggschiff eröffnen. Dies wurde verschoben auf 2010, aber dann hieß es Baustopp, da die zuständige Baufirma bankrott ging. Ebenso plant Japan das Nippon Moon, ein über 250 Meter großes Riesenrad welches 40 bis 50 Minuten für eine Umdrehung brauchen soll – je nach Besucherstrom. In Moskau gibt es auch seit Jahren Pläne für ein Rekordrad. Wie lang hier dann eine Umrundung dauern wird und inwieweit andere Geschäftsmodelle damit verknüpft sind, muss sich zeigen. Was sich aber hier, wie angesprochen, in den letzten Jahren abzeichnet, ist vor allem eine viel weitergehende touristische Nutzung als eine einfache Aussichtsfahrt, wie man sie vom Freizeitpark oder Rummel kennt. Heute drehen sich die Anlagen fast rund um die Uhr. Nachts kann man Kabinen mieten oder sie werden für Dinner und Empfänge umgestaltet. Sie dienen als Werbefläche für Unternehmen als auch für die beheimatende Städte.
Ein Riesenrad der Kategorie XXL ist nicht nur eine touristische Attraktion, sondern oft auch eine städteplanerische Meisterleistung – denn wer will schon einen grünen Gürtel sehen. Nein, der konsumierende Tourist möchte im Herzen der pulsierenden Metropolen am Himmel kratzen und an guten Tagen bis zu 100 Kilometer weit blicken können. Die Konzepte der Investoren und Betreiber der Anlagen funktionieren, und dennoch sind die Räder nicht bei allen beliebt. Sei es aus ästhetischen oder historischen Gründen, vielen sind die Touristenattraktionen auch ein Dorn im Auge. Und dennoch wird die Entwicklung weiter gehen. So wie Achterbahnen immer größer werden, so wachsen auch die Riesenräder, damit möglichst jeder einmal den Rekord haben durfte. Die Gäste und Touristen freut es, solang die Eintrittspreise noch erschwinglich sind, was aber leider bei vielen Anlagen nicht (mehr) der Fall ist. So muss jeder Gast selber wissen, ob er den Boden unter den Füßen verlieren will und Städte aus der Vogelperspektive erkunden möchte.
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