Wenn sich Fernsehformate kritisch über Freizeitparks äußern, wird primär oft übertrieben. Achterbahnen und andere Fahrgeschäfte spielen mit der Angst des Menschen, mit dieser Angst arbeiten die Redakteure und versuchen so die Quote zu pushen. RTL hat dafür in der Werbung den dramatischen Fall von Amber genommen, welche im Holiday Park tödlich verunglückte. Günther Walraff, Protagonist der tendenziell populistischen RTL-Sendung fackelt nicht lange und zeigt das Interview, natürlich dramatisch untermalt mit Bildern der toten Tochter. Ein schlimmer Unfall, außer Frage. Ob man die Spinning Barrels deswegen als „tödliches Mahlwerk“ bezeichnen muss ist wiederum diskutierbar. Ebenfalls etwas überspitzt klingen die Anschuldigungen der Mutter: Sie meint, dass die Technik morgens nicht überprüft wurde. Nichtsdestotrotz muss man RTL zugute heißen, dass der Unfall schon weit in der Vergangenheit liegt und sich die Sendung nicht nur auf Vermutungen, sondern auch auf die mittlerweile bekannten Fakten stützt.
Nächster Freizeitpark ist das Phantasialand, wo eine Journalistin des Team Wallraff undercover als Mitarbeiterin eingeschleust wird. Diese wird für die Tretboote am Mondsee des Parks eingeteilt. Nach dem bereits zweiten Tag wird die neue Mitarbeiterin an einem vollen Tag bei Ferienbeginn ohne weitere Einweisung eingesetzt, ohne das Rettungsboot bedienen zu können. Dazu kommen schlechte Arbeitszeiten, in der Hauptsaison wird wesentlich mehr gearbeitet als vertraglich festgehalten, Mitarbeiter werden an freien Tagen angerufen und zur Arbeit gebeten. Ebenfalls schwierig zeigen sich Toilettenpausen, welche offiziell nur genehmigt werden können, wenn man für diese Zeit abgelöst wird. Mit versteckter Kamera wird aber deutlich, dass es außerhalb der Pausenzeiten keine Möglichkeit dafür gibt.
Außerdem werden die Unterkünfte der Artisten gezeigt, welche in einem renovierungsbedürftigen Kloster zu finden sind. Trotz des dramatischen Anfangs wird schnell klar: Der Park kann sich von seiner Schuld nicht befreien und die Missstände sind von RTL nicht konstruiert worden.
Noch schockierendere Verhältnisse werden im Safaripark Stukenbrock gezeigt. Hier sieht man Mitarbeiterwohnungen, welche dieser Bezeichnung nicht gerecht werden. Die provisorisch und heruntergekommen wirkende Wohnwagen-Siedlung in einer Ecke des Parks offenbart desaströse Verhältnisse. Eine Einarbeitung gibt es gar nicht, vor dem Mindestlohn wurden vier Euro für Schüler gezahlt, gerade einmal 5,70 für Festangestellte. Nach dem Mindestlohn hat sich die Miete für die schockierenden Wohnbereiche mehr als verdoppelt.
Doch im Unterschied zum Phantasialand gibt es hier Tiere, eingepfercht in kleinen Gehegen, obwohl der Park mit großen Flächen wirbt, auf dem sich Tiere frei bewegen können und die Gäste mit dem PKW durch die großen Gelände fahren. Es zeigen sich hingegen karge Käfige, Giraffen, die sich selbst verletzen im engen Gehege und Tiere, welche von Autos und Peitschen in die vom Park gewünschte Position gebracht werden. Noch schlimmere Zustände zeigen sich im Tierpark Bad Pyrmont, wo Schimpansen unter niedersten Bedingungen über Monate alleine in kleinen Käfigen verharren und Tiere aufgrund ihres Geschlechts von skrupellosen Mitarbeitern unsachgerecht getötet werden.
Doch spätestens hier wird klar, dass die Sendung vom Thema etwas abweicht. Vom Unfall im Holiday Park ist man thematisch weit entfernt, wirkliche Sicherheitsmängel konnte man keine aufdecken. Ohne die absolut katastrophalen Zustände runterspielen zu wollen, musste die Redaktion anscheinend auf das Leid der Tiere zurückgreifen, da es in den gewöhnlichen Freizeitparks zu geringe Missstände gab. Im Phantasialand und Holiday Park waren lediglich die unsachgerechten Einarbeitungen und eventuell personelle Probleme zu bemängeln. Wichtige Sicherheitsaspekte wurden hingegen nicht verletzt.
Am Ende wird das Schicksal der 11-jährigen Amber doch noch einmal aufgegriffen und eine ehemalige Mitarbeiterin des Holiday Parks schleust sich erneut ein und dokumentiert die unsachgerechte Einführung an den Attraktionen. Die Sendung wird sinngemäß mit den Worten beendet, dass Einsparungen am Personal ein Sicherheitsrisiko sind. Denn auch der Unfall in Hassloch hätte so verhindert werden können. Leider wird sich daran wohl in Zukunft wenig ändern. Und auch das Leid der Tiere, welches in vielen anderen deutschen und internationalen Tierparks und Zoos nicht geringer sein wird lässt einen etwas anders auf den nächsten Besuch in so einen Park blicken.
Die Reaktionen im Internet sind immens, etliche Kommentare entsetzter Zuschauer und schlechte Bewertungen häufen sich auf Facebook, die Zahl der Likes sinken. Die Sendung von Team Wallraff hat den Blick der Besucher sicherlich nachhaltig verändert.
Für alle die die Ausstrahlung verpasst haben, steht der Fernsehbeitrag bis einschließlich Montag, den 7. September 2015, auf RTLnow kostenlos zur Verfügung.
Pictures Copyright: RTL, Phantasialand
Offener Brief
An die Geschäftsleitung des Hollywood – Safaripark Stukenbrock-
z. Hd. Herrn Fritz Wurms
Mittweg 16, Schloß Holte – Stukenbrock
Betr.: TV Sendung – Team Wallraff deckt auf, RTL am 31.8.2015
Sehr geehrter Herr Wurms,
Anfang Januar 1973 – zuvor aus München kommend vom Zirkus Krone – las ich in einer Düsseldorfer Tageszeitung eine Anzeige. Für den Safaripark Stukenbrock suchte man Fachpersonal für den Bereich Tiger.
In einem Düsseldorfer Hotel, welches ihren Eltern gehörte, stelle ich mich vor, da ich beim Zirkus Krone Erfahrungen mit Tigern gesammelt hatte. Ihre Frau Mutter führte mit mir das Vorstellungsgespräch. Dabei erwähnte sie, dass der bisherige Tigerpfleger – Alfred Kölsch- leider verstorben sei und deswegen dringend Ersatz gesucht werde. Nach den Äußerungen ihrer Frau Mutter sollte ich etwa das gleiche verdienen wie beim Zirkus Krone, also keinesfalls schlechter gestellt sein. Ich sagte zu und nahm die Stelle an. Mir wurde gesagt, dass ich keine Unterbringungsprobleme haben würden, denn für das Personal gäbe es schöne, gemütliche Zimmer. Also fuhr ich in den nächsten Tagen nach Stukenbrock. Bei den schönen, gemütlichen Zimmern musste ich dann gleich feststellen, dass es sich hier um ein Barackengebäude handelte, welches ein Überbleibsel eines KZ und Internierungslagers des 3. Reiches war. Trotz Enttäuschung fing ich meine Arbeit an. Sobald stellte sich heraus, dass die Arbeitszeit nicht – wie zugesagt- 8 Stunden täglich war, sondern die Arbeitszeit ging von 8.00 Uhr am Morgen bis um 18:00 Uhr, also 10 Stunden täglich, 6 Tage in der Woche. Den freien 7. Tag durfte ich nicht am Wochenende nehmen, sondern nur in der Zeit von Montag bis Freitag.
Von meinen Arbeitskollegen erfuhr ich dann, dass mein verstorbener Vorgänger- Alfred Kölsch- von „meinen Tigern“ getötet und fast komplett aufgefressen wurde, lediglich das Skelett blieb übrig. Ihre Frau Mutter hielt es nicht für notwendig, mir dies bei dem Vorstellungsgespräch zu sagen. Alfred Kölsch hinterließ eine Ehefrau und vier Kinder!
In der Folgezeit konnte ich dann einige merkwürdige Dinge feststellen: so konnte ich z.B. beobachten, wie ihr Herr Vater gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern (stille Teilhaber) noch vor Publikumsbetrieb auf Safari gingen und Tiere schossen.
Jeden Morgen kamen von einer nahen Legehennenfarm Kartons mit lebenden Küken an. Diese wurden dann zu tausenden lebendig an die damals noch vorhandenen Paviane verfüttert- die brutalen Szenen, die sich dabei abspielten, sehe ich noch heute vor mir.
Im Februar 1973 erkrankten die Löwen an einer schrecklichen Krankheit. Viele der Tiere, welche entweder total apathisch waren oder aber nur noch sich torkelnd bewegen konnten, mussten eingeschläfert oder erschossen werden. Trotzdem fuhren die Besucher weiter durch die Gehege und konnten so evtl. Krankheitserreger übertragen. Niemand, vor allem die Presse, sollte davon erfahren.
Schon damals war es üblich, dass bei irgendwelchen „Verstößen“ Geldbußen vom Lohn eingehalten wurden. Ein Kontrollturm, von welchem aus die Schleusen zu den nächsten Gehegen geöffnet und geschlossen wurden, stand direkt im Tigerfreilauf Gehege. Eines Tages beobachtete ich, wie mein Arbeitskollege Hermann auf diesen Kontrollturm stieg, um die Tore zu betätigen. Ein Tiger nahm Anlauf und wollte meinen Arbeitskollegen von dieser Leiter herunter holen – auf diese Art und Weise war, wie man mir berichtete, Alfred Kölsch von den Tigern angegriffen und getötet worden. Ich konnte mich mit dem Dienstfahrzeug gerade noch zwischen Turm und Tiger stellen.
Der Tiger sprang dann über das Fahrzeug, hinterließ aber dabei eine faustgroße Delle im Kotflügel des Fahrzeuges. Nun erhielt ich nicht etwa ein Lob oder Dank, dass ich eine weitere Katastrophe verhindert habe, sondern mir wurden 25,00 DM vom Lohn abgezogen wegen dieser Delle im Kotflügel. Schon damals ging Material über Menschenwohl, das hat sich, wie ich aus dem TV Bericht von Herrn Wallraff entnehmen konnte, bis heute nicht geändert.
Am Monatsende gingen von dem zugesagten Lohn dann erst einmal Miete, Strom, Wasser, Essen u.s.w. ab, ebenso die besagten Strafen, übrig bleiben für 240 Stunden Arbeit ganze 480,– DM.
Sicherheitsstandards wurden ebenfalls nicht eingehalten. Ich konnte ja Vergleiche mit anderen Betrieben ziehen. Sowohl beim damaligen Tierinspektor als auch in der betriebseigenen Werkstatt habe ich auf Mängel hingewiesen, diese fanden aber keinerlei Beachtung. So waren z.B. die Abstände der Käfiggitter im Tigergebäude viel zu weit auseinander, so dass die Tiger dort mit der ganzen Pranke hindurch langen konnten. An den Tränkewannen, welche unter die Gitter hindurch geschoben werden mussten, fehlten Griffe. So kam es dann am 7.3.1973 zu meinem tragischen Unfall, als ich beim Tränken der Tiger von einem Tiger durch die Gitter hindurch angegriffen wurde und dann von allen damals 11 im Sammelstall verbliebenen Tiger mit meinen Armen und Beinen in den Käfig gezerrt und bei lebendigem Leben und vollen Sinnen teilweise aufgefressen und zerfleischt wurde. Nur meinen Kollegen Hermann verdanke ich, dass ich heute noch lebe, da er meine Schreie hörte.
Das Verhalten ihrer Eltern nach diesem schweren Unfall, welcher mich damals 24 jährigen zu einem Pflegefall für den Rest meines Lebens machte, ist einfach nur als skandalös zu bezeichnen.
Vom Sachbearbeiter der AOK wurde ich noch im Krankenhaus darauf hingewiesen, dass ich nicht mehr arbeitsfähig sein würde und nach der achtzehnmonatigen Aussteuerung in die Frührente würde gehen. Bis dahin sei ich aber noch Beschäftigter vom Safaripark und mir stünden zu Abschluss noch die Urlaubstage von insgesamt einem Jahr und neun Monaten zu. Diese solle ich mir vom Arbeitgeber auszahlen lassen, da ich ja keinen Urlaub in Anspruch nehmen konnte. Ihre Mutter meinte dann zu mir: „ sie haben ja eineinhalb Jahre im Bett gelegen, dass ist ja wohl Urlaub genug.“ Ich habe nicht einen Pfennig erhalten.
Es gab keine Entschuldigung oder den Versuch, mich zu entschädigen und unterstützen. Stattdessen wurde die Presse, welche regen Anteil nahm, belogen und mir die alleinige Schuld an dem Unfall zugewiesen. Angeblich hätte ich nicht alleine in das Tigergebäude gehen dürfen- dabei gab es keinen zweiten Pfleger für diesen Bereich. Ein anderes Mal hieß es, ich habe die Tiger gereizt und den Angriff provoziert. Zu keinem Zeitpunkt wurde die Schuld an den Unfällen an den fehlenden Sicherheitsstandards gesehen. 1975 erhielt ich Unterstützung von zwei westfälischen Tageszeitungen, welche in einem Prozess erreichen wollten, dass ich zumindest ein Schmerzensgeld / Schadenersatz erhalten sollte. Es ging damals um die Summe von 40.000 DM für ein kaputtes Leben. Der Beklagtenvertreter zog dann einen § aus dem 19. Jahrhundert an Land, wonach mir ein solches Schmerzensgeld nur dann zustehen würde, wenn ihr Herr Vater mich vorsätzlich in den Tigerkäfig gestoßen hätte. So erhielt ich nicht einen Pfennig. Bis heute muss ich die Folgen des Tigerangriffs ertragen. So leide ich seit damals an chron. Osteomyelitis- einer infektiöse Entzündung des Knochenmarks, wodurch ich nicht mal mehr 30 Meter weit laufen kann, mein rechter Arm wurde aufgefressen, mein linker Arm wurde total zerfetzt, mein linkes Kniegelenk wurde zerstört, meine Beine zerfleischt. Zahlreiche Operationen musste ich über mich ergehen lassen. In der kommenden Woche werde ich wohl wieder einmal an meinem linken Arm operiert und wahrscheinlich kann ich diesen dann gar nicht mehr benutzen.
Wenn ich nun so in Internetforen schaue, muss ich feststellen, dass sich nicht wirklich viel am Umgang mit Personal geändert hat. Sie führen die Tradition weiter fort, so wie sie es wohl von ihrem Vater gelernt haben. Nach der Jahrtausendwende gab es wieder einen schweren Unfall in ihrem Park, welcher ja inzwischen sich zum Freizeitpark gemausert hat. Es gab große Berichte darüber, als einer ihrer Beschäftigten auf der Achterbahn schwer verunglückte. Es handelte sich um einen 16 jährigen Jungen polnischer Abstammung.
Anhand der Berichterstattung vom Team Wallraff konnte ich sehen, dass die Zustände der Unterbringung des Personals heute noch schlimmer sind als vor 40 Jahren. Bei ihrer Rechtfertigung in der örtlichen Presse behaupten sie, dass ja niemand gezwungen sei, im Park zu wohnen. Wovon bitte sollen die Menschen, meist ja nur Saisonarbeiter- sich eine Wohnung leisten können? Von einem Luxus, wie in Familie Wurms lebt, können diese Menschen doch nur träumen.
Sehr geehrter Herr Wurms, sie haben vergessen, dass sie Verantwortung für die Menschen tragen, welche sie schamlos- auch heute noch- ausbeuten. Von ihrem Verhältnis den Tieren gegenüber möchte ich hier erst gar nicht reden. Vor einiger Zeit hat ein schreibender Journalist zu
mir gesagt: hier in Schloss Holte gibt es zwei Orte des Schreckens: der erste ist der sowjetische Soldatenfriedhof, der 2. ist der Hollywoodpark Stukenbrock.
Seit nunmehr 40 Jahren bitte ich sie (vormals ihre Eltern) um Hilfe bei der Suche nach meinem damaligen Lebensretter Hermann, von dem ich nicht einmal den Familiennamen weiß. Jede Anfrage- egal ob von mir oder von der Presse- wird abgeblockt und Hilfe verweigert. Bis heute ist es mir nicht möglich, mich bei meinem Lebensretter zu bedanken.
Es ist an der Zeit, dass sie sich über die Verantwortung, welche sie nicht nur zu ihrem Wohl und dem Wohl ihrer Familie tragen sondern auch gegenüber ihrem Personal, den Besuchern und zuletzt auch gegenüber den Tieren, bewusst werden.
Gezeichnet: Günter Charell
P.s.: Es gibt noch zahlreiche weitere Opfer der vielen Unfälle- nämlich die Angehörigen. Eines ist z.B. meine Ehefrau, welche meinen zerschundenen Körper seit 38 Jahren aufopfernd pflegen muss. Zum Dank dafür wurde ihr durch eine Gesetzesreform die einmal zu erwartende Hinterbliebenenrente gestrichen.