In kaum einem anderen europäischen Freizeitpark genießt die musikalische Thematisierung der Attraktionen einen so großen Stellenwert wie in Efteling. Unabhängig davon, ob es dabei um die zaghaft-spielerischen Töne der Musik-Pilze im Märchenwald oder den theatralisch-bombastischen Sound im fliegenden Holländer geht.
Seit 1999 stammt der Großteil davon aus der Feder von René Merkelbach, der als Musiker, Komponist und Produzent in den Teams mitwirkt, die für die musikalischen Themenwelten im beliebten Freizeitpark verantwortlich sind.
Wir unterhielten uns mit dem sympathischen Niederländer aber nicht nur über den kreativen Erschaffungsprozess neuer Musik für den Themenpark, sondern auch über dessen ungewöhnlichen Weg vom Rock- und Heavy-Metal-“Mietmusiker” zum Hauskomponisten im Freizeitpark Efteling.
Airtimers (Michael): Hallo René! Kannst du dich noch an deine erste Auftragsarbeit für Efteling erinnern?
René Merkelbach: Ja, klar! Das war im Jahr 1999, als Winter-Efteling zum ersten Mal stattfand. Ich durfte das berühmte Bach-Menuett der Musikpilze im Märchenwald winterlich gestalten. Ich habe dieses dann mit Glöckchen und kleinen Glockenspiel-Melodien ausgeschmückt. Man kann diese immer noch während Winter-Efteling hören.
Die meisten der heutigen Komponisten blicken auf ein traditionelles Musikstudium und eine klassische Ausbildung zurück. Dein musikalischer Werdegang ist hingegen ziemlich ungewöhnlich. Doch wie bist du denn überhaupt ursprünglich zur Musik gekommen?
Ich bin schon als Kind mit Livemusik großgeworden, denn mein Großvater war Jazz-Trompeter. Von früh an faszinierte es mich, in einer Band zu spielen.
Später nahm ich ein paar Stunden Orgelunterricht und lernte Noten zu lesen, wusste aber schnell, dass ich lieber in einer Band spielen wollte und schloss mich lieber direkt einer Schulband an. Ich konnte zwar kaum spielen, lernte dort aber einfache Akkorde und verschiedene Cover-Songs von The Police, Pink Floyd, Santana sowie Ska- und New Wave-Songs. Mit 17 schloss ich mich einer Band an, die Stücke von Casiopea, George Duke und etwas Old School Funk spielte. Eine ganz andere Richtung. Nach und nach lernte ich, Synthesizer zu programmieren, Backing Tracks zu erstellen und viel mehr.
Hast du in diesen Jahren bereits eigene Musik geschrieben?
Soweit ich mich erinnere, habe ich mir sogar schon als Kind Melodien ausgedacht. Ich habe damals mit meinem ersten Synthesizer (ein Korg Poly 800) und zwei Rekordern eigene Musik aufgenommen, indem ich die Musik von einem auf den anderen Rekorder gespielt habe. Hin und her.
Ein frühes Fundament für deine jetzige Tätigkeit!
Auch ein wichtiger Baustein: Du hast viele Jahre zusammen mit dem bekannten Musikproduzenten Oscar Holleman im Studio gearbeitet.
Richtig, ich war dort elf Jahre lang der Studiokeyboarder für Bands, die keinen festen Keyboarder besaßen oder einige Extras für ihr Album benötigten. Ich spiele Keyboards auf 33 CDs. Manchmal nur für ein Intro oder einige Samples, manchmal auf der kompletten CD.
Du hast sogar für die holländische Death Metal Band Gorefest Keyboards eingespielt.
Das stimmt. Gorefest haben bei Oscar Holleman einige Alben aufgenommen. In meiner ersten Arbeit für sie habe ich ein klassisches Stück, das einst für einen TV-Auftritt für die Band verwendet wurde, neu arrangiert. Das war das erste Mal, dass ich mit Samples und Synthesizern ein wirklich kompliziertes klassisches Stück erarbeitete. Dabei habe ich viel gelernt!
Ich kann mit vorstellen, dass deine Arbeit am Durchbruchs-Album „Mother Earth“ von Within Temptation im Jahr 2000 ebenfalls einen bedeutenden Meilenstein für dich darstellte.
Als ich gebeten wurde, Keyboard-Parts zum Album beizutragen, fragte ich die Band, ob ich eine völlig andere Richtung als derzeit in der Szene üblich einschlagen darf. Nach der ersten Hörprobe beschlossen sie, dass dies die Richtung für das gesamte Album sein soll. Viele Leute umschrieben den Sound damals als „Sprookjesrock“ – Märchen-Rock.
Denkst du, dass dein ungewöhnlicher Werdegang und die Erfahrungen aus der Rock- und Metal-Welt immer noch auf deine heutige Arbeit abfärben?
Ich denke, dass meine gesamte aktuelle Arbeit auf der Musik basiert, die ich seit meiner Kindheit höre. Wenn du beispielsweise beginnst, die Musik für Raveleijn zu schreiben, hilft es natürlich sehr, dass man zuvor Alben mit Rock-, Gothic- und Metal-Acts wie Gorefest, Within Temptation oder After Forever aufgenommen hat. Ich muss die Musik dafür nie „fälschen“, weil ich diese Art Musik eben selbst sehr mag.
Ich denke, dass der Raveleijn-Soundtrack sich mit Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang auch sehr gut in der Gothic-Szene machen würde.
Gibt es für dich denn einen Unterschied zwischen dem komponieren für eine Band oder für eine Attraktion in Efteling?
Es mag sich seltsam anhören, aber am Ende ist es alles Musik und es macht für mich keinen Unterschied, wofür diese ist. Ich kann jederzeit für jede Art Musik eine oder einen Groove „abrufen“. Ich denke, das kommt dadurch, dass ich schon immer viel verschiedene Musikstile gehört habe und in meinem Kopf abrufen kann.
Das hört sich ja schon fast zu einfach an…
Nun, als ich gebeten wurde, Musik für ein Efteling-Musical zu schreiben, war das eine echte Herausforderung, weil ich dies noch nie zuvor gemacht hatte.
Aber auch dort dachte ich: Es ist alles Musik. Es ist das was ich mache. Was soll schief gehen?
Wenn man Efteling-Soundtracks von Monsieur Cannibale, Vogel Rok oder Carnaval Festival als „ikonisch“ bezeichnet, gleicht das beinahe einer Untertreibung. Die Musik vieler Attraktionen genießt bei den Fans echten Kult-Status.
Verspürst du denn einen gewissen Druck, wenn du Musik für neue Attraktionen komponierst?
Ich bin schon mein ganzes Leben lang großer Efteling-Fan. Dass ich für einen fantastischen Park arbeite, den unfassbar viele Menschen gerne jährlich besuchen, steckt immer in meinem Hinterkopf, wenn ich beginne zu komponieren. Deshalb verspüre ich immer eine gewisse Art Druck, wenn Efteling mich bittet, neue Musik zu schreiben.
Ich habe aber nie einen Druck verspürt, der Musik gerecht zu werden, die vor mir geschrieben wurde.
Ich bin großer Fan von allem, was Ruud Bos geschrieben hat, habe aber den Fakt akzeptiert, dass ich nicht genauso schreiben kann wie er. Ich habe großen Respekt für das, was er für Efteling kreiert hat, aber ich bin eine andere Art Komponist mit einem völlig anderen Hintergrund und froh, dass ich nie versucht habe, Bos oder andere Komponisten zu kopieren. Ich kann nur das schreiben, was mir selbst in den Kopf kommt.
Wie beginnst du mit der Arbeit an neuer Musik für eine neue Attraktion?
Es beginnt immer mit einem Treffen mit den Projektdesignern. Niemand kann dir inspirierender von einem neuen Projekt erzählen als diese!
Wenn ich dazu komme, haben die Designer häufig schon mehrere Jahre am Projekt gearbeitet.
Für sie ist wichtig, wie die Musik klingen wird, deshalb sind diese stets eng und innig in den Schaffensprozess der Musik eingebunden.
Was sind dann deine ersten Schritte?
Ich warte. Und warte. Und warte etwas länger. Bis die Musik „zu mir kommt“.
Das mag sich komisch anhören – aber so funktioniert das für mich.
Ich setze mich nicht montagmorgens ans Piano um „die“ Musik zu schreiben, sondern höre den Designern zu und lasse alles erstmal auf mich wirken.
Irgendwann manifestiert sich dann eine Idee im Kopf. Das kann mitten in der Nacht sein, im Auto oder beim Einkaufen. Ich singe dann oft die Melodie in mein iPhone.
Eine starke Melodie wiederholt sich dann in meinem Kopf – fast den ganzen Tag lang. Ich weiß nicht, wie es genau funktioniert – aber die Melodie beginnt sich in meinem Kopf zu einem größeren Stück Musik zu entwickeln. Ich addiere dann Stück für Stück in meinem Kopf und wenn ich das Gefühl habe, dass die Idee reif genug ist, beginne ich das erste Demo am Computer aufzunehmen und dort weiter zu bearbeiten. Wenn ich mit dem ersten Entwurf zuversichtlich genug bin, präsentiere ich diesen den Designern, um zu sehen, ob es die richtige Richtung ist.
Wenn ja, dann beginne ich das Demo immer weiter zu verbessern und zu komplettieren bis es gut genug ist, um die finale Version mit den echten Musikern aufzunehmen.
Es gibt bereits ein cooles Video über die Musik von Max & Moritz auf Youtube, die verdeutlicht, dass in den Prozess sehr viele Leute involviert sind. Macht es das nicht auch manchmal schwierig?
Nein, es ist toll, mit den Leuten zu arbeiten, die im Video zu sehen sind! Ich arbeite mit diesen Menschen schon viele Jahre lang hier in den Audiocult-Studios. Jeder von ihnen hat seine eigene Expertise und sein eigenes Spezialgebiet.
Oft arbeite ich an verschiedenen Projekten gleichzeitig und da ist es ein Privileg, Leute hier im Haus zu haben, denen man vertraut.
Versteckst du denn gerne “Easter Eggs” in deiner Musik?
Das ist eine gute Idee! Das habe ich bisher noch nie gemacht – aber das sollte ich wirklich mal machen! Und natürlich verrate ich dann nicht wo es ist, haha!
Gibt es eigentlich so etwas wie einen Efteling-Signature-Sound, der an verschiedenen Orten oder in verschiedenen Melodien gefunden werden kann?
Ich werde oft gefragt, ob es so etwas gibt. Aber nein, ein Kern-Thema oder Leitmotiv gibt es nicht. Ich meine, wenn man sich Fata Morgana und Carnaval Festival anhört. Oder Symbolica und Piraña.
Wenn man eine Gemeinsamkeit sucht, dann ist es womöglich der Fakt, dass die Musik in Efteling zumeist auf klassischer Musik und Instrumenten basiert. Egal, ob es ein großes symphonisches Musikstück ist oder die „kleine“ Musik für Pinocchio mit Flöte, Akkordeon und Akustikgitarre. Man wird selten Elektronische Sounds, Pop- oder Dance-Einflüsse in den Attraktionen hören. Ich denke, das macht Eftelings Musik auch so zeitlos.
Der Unterschied zwischen der Musik von Max & Moritz und Baron 1898 könnte nicht größer sein. Unterscheidet sich denn das Songwriting dazu genauso stark?
Nicht wirklich. Der Ablauf für mich ist prinzipiell der gleiche. Ich bin froh, dass die Musik immer einen natürlichen Weg zu mir findet – egal in welche Richtung es geht.
Mal ganz konkret: Woher nimmst du beispielsweise die Inspirationen für Musik von Baron 1898 und De Vliegende Hollander?
Wenn man sich die Attraktionen anschaut, erkennt man, dass diese in einer ganz spezifischen Zeit angesiedelt sind. Man hört deswegen einen bestimmten Musikstil, den ich dafür adaptiere.
Natürlich höre ich mir dazu auch Musik z.B. auf Spotify an – versuche diese aber immer so schnell wie möglich zu vergessen, um nicht zu stark beeinflusst zu werden oder aus Versehen etwas zu kopieren.
Beide Soundtracks sind sehr „cinematisch“. Spielen auch Filme und Filmsoundtracks eine Rolle in deinem Schreibprozess?
Filme eher weniger –Filmkomponisten schon eher.
Ich denke, 99% der heutigen Komponisten sind von Elfman, Zimmer, Desplat, Williams, Shore oder Horner in gewisser Weise beeinflusst.
Für Baron 1898 und Raveleijn hast du mit der niederländischen Sängerin Anneke van Giersbergen zusammengearbeitet. Warum ausgerechnet Sie?
Wir sind gut befreundet. Sie ist für mich aber auch eine Muse und inspirierende Künstlerin. Ich hatte ausschließlich Annekes Stimme im Kopf, als ich begann Musik für Raveleijn und Baron zu schreiben. Es gibt viele großartige Sänger/innen dort draußen – aber Anneke klingt wie niemand sonst. Ich kann es nicht genau sagen, aber ihre Stimme berührt mich – egal, ob sie alleine singt, mit einem Orchester oder in einer Band.
Dem kann ich nur zustimmen!
Über kommende Efteling-Projekte darfst du uns natürlich nichts verraten, aber wie sieht es mit deiner eigenen Musik aus? Dein aktuellstes Projekt ist Dundercloud (https://flexatune.com/dundercloud).
Du kannst dir vorstellen, dass mir natürlich auch ständig Ideen im Kopf herumschwirren, die nicht für Kunden geeignet sind.
Doch in der Regel fehlte mir glücklicherweise (oder unglücklicherweise?) immer die Zeit, eigene Ideen aufzunehmen.
Doch dieses Jahr ist ja bekanntlich etwas anders. Ich habe etwas mehr Zeit als sonst und diese für meine eigene Musik verwendet. „Lights In The Gloom“ ist daher die erste Veröffentlichung meines Solo-Projekts Dundercloud. Es wird noch einiges weitere folgen.
Vielen Dank für diesen spannenden Rück- und Einblick!
Zum Schluss noch eine ganz wichtige Frage: Womit bekommt man am besten den Carnaval-Festaval-Ohrwurm los?
Man sagt, dass man sich den kompletten Song anhören muss, um zu verhindern, dass sich ein Teil davon im Kopf festsetzt. Also einfach komplett anhören. Viel Glück damit!
(Michael Klein)
www.efteling.com
https://audiocult.tumblr.com/
Pictures: Copyright René Merkelbach & Airtimers.com